In Dresden ist der Anti-Hitler-Krieg zu dem entartet, was man zu bekämpfen vorgab und wohl auch bekämpft hatte: Zu Barbarei und Unmenschlichkeit, für die es keine Rechtfertigung gibt.
Über 200 000 Menschen sind in den Flammen von Dresden umgekommen. Der
Engländer David Irving schreibt in seinem Buch Der Untergang
Dresdens
: Zum ersten Mal in der Geschichte des Krieges hatte
ein Luftangriff ein Ziel so verheerend zerstört, daß es nicht genügen
unverletzte Überlebende gab, um die Toten zu begraben.
(siehe
Anmerkung)
Dresden hatte 630 000 ständige Einwohner. Als es zerstört wurde, hielten sich über eine Million Menschen in dieser Stadt auf. Man schätzt 1,2 bis 1,4 Millionen. Flüchtlinge aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen, Evakuierte aus Berlin und dem Rheinland, Kindertransporte, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter. Dresden war eine Sammelstelle für genesende und verwundete Soldaten. Dresden hatte keine Rüstungsindustrie. Dresden war eine unverteidigte Stadt ohne Luftabwehr. Dresden galt in ganz Deutschland als eine Stadt, die nicht bombardiert werden würde. Es gab Gerüchte, wie: Die Engländer würden Dresden schonen, wenn Oxford nicht angegriffen würde—oder: Die Alliierten würden Dresden nach dem Krieg zur deutschen Hauptstadt machen und deshalb nicht zerstören. Es gab noch mehr Gerüchte, aber vor allem konnte sich kein Mensch vorstellen, daß eine Stadt, die täglich neue Krankenhäuser und Lazarette einrichtete, in die täglich Hunderttausende von Flüchtlingen, hauptsächlich Frauen und Kinder, einströmten, bombardiert werden würde.
Militärisch interessant an Dresden war höchstens ein größerer Güter- und Truppenumschlagbahnhof. Aber in den drei Angriffen, als man zuerst Sprengbomben abwarf, um Fenster zum Platzen zu bringen und Dächer zum Einsturz, um Dachstühle und Wohnungen den folgenden Brandbomben um so schutzloser auszuliefern, als das alles planmäßig mit höchster Präzision ablief, da wurde dieser Bahnhof kaum getroffen. Als Tage darauf Berge von Toten aufgeschichtet wurden, waren die Gleise schon wieder repariert.—Dresden hat sieben Tage und acht Nächte lang gebrannt.
Man hatte den englischen Soldaten, die die Angriffe geflogen haben, nicht die Wahrheit gesagt. Man hat gesagt: Ihre Flotte greift das Oberkommando des Heeres in Dresden an. Man hat gesagt, Dresden sei ein wichtiges Nachschubzentrum für die Ostfront. Man hat gesagt, das Angriffsziel sei ein Gestapo-Hauptquartier im Stadtzentrum, ein wichtiges Munitionswerk, ein großes Giftgaswerk. \u2013
Schon 1943 hatte es in der britischen Öffentlichkeit Proteste gegen die Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung gegeben. Der Bischof von Chichester, der Erzbischof von Canterbury, der Kirchenpräsident der Church of Scotland erhoben ihre Stimme. Ihnen aber ebenso wie einem Labourabgeordneten im englischen Unterhaus wurde gesagt, das sei nicht wahr, daß ein Befehl ergangen wäre, Wohngebiete statt Rüstungszentren zu zerstören. Es ist der englischen Regierung unter ihrem Premierminister Sir Winston Churchill bis zum Ende des Krieges, bis März 45, gelungen, den tatsächlichen, absichtlichen, planmäßigen Charakter der britischen Bombenangriffe auf deutsche Städte geheim zu halten. Dresden war der Höhepunkt dieser Politik. Dresden ging in Schutt und Asche, zwei Jahre nachdem der Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Stalingrad entschieden worden war. Als Dresden bombardiert wurde, standen die sowjetischen Truppen schon an der Oder und Neiße, lag die Westfront am Rhein. Der Oberbefehlshaber der Royal Air Force, Sir Arthur Harris, der den Einsatz gegen Dresden geleitet hatte, ging ein Jahr danach, am 13. Februar 1946, in Southhampton an Bord, um das Land zu verlassen, das nicht mehr bereit war, seine Verdienste zu würdigen. Als die deutsche Bevölkerung die Wahrheit über Auschwitz erfuhr, erfuhr die englische Bevölkerung die Wahrheit über Dresden. Den Tätern wurde der Ruhm versagt, der ihnen von den Regierenden versprochen worden war. Hier und dort.
In Dresden ist der Anti-Hitler-Krieg zu dem entartet, was man zu bekämpfen vorgab und wohl auch bekämpft hatte: Zu Barbarei und Unmenschlichkeit, für die es keine Rechtfertigung gibt.
Wenn es eines Beweises bedürfte, daß es den gerechten Krieg nicht gibt—Dresden wäre der Beweis. Wenn es einen Beweises bedürfte, daß der Verteidigungsfall zwangsläufig zu Aggression entartet—Dresden wäre der Beweis. Wenn es einen Beweises bedürfte, daß die Völker von den kriegsführenden Regierungen selbst mißbraucht werden—Dresden wäre der Beweis. Daß an der Bahre Sir Winston Churchills das Stichwort Dresden nicht gefallen ist, legt den Verdacht nahe, Dresden sollte immer noch dem Volk angelastet werden, das doch selbst betrogen worden ist. Es ist der gleiche Takt, den die Bundesregierung praktiziert, wenn sie die Verjährungsfrist für in der NS-Zeit begangenen Mord nicht aufhebt. Wer die Täter nicht denunziert, denunziert aber die Völker.
aus: Ulrike Marie Meinhof: Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken. Berlin: Wagenbach, 1986.
Wir haben lange überlegt, ob wie das Zitat von Irving im Text lassen sollen. Wir haben uns entschieden, der Authentizität wegen, das Zitat drin zu lassen—wohl wissend, dass das die Schwachstelle des Textes ist. Allerdings muss bedacht werden, dass Irving seine unsäglichen Ansichten über den millionenfachen fabrikmäßigen Mord an Juden und Zigeunern erst in den 80er Jahren veröffentlichte, also lange nach dem Tod von Ulrike Meinhof. Der o.a. Text von ihr stammt von 1965.
Ulrike Meinhof war für mich zweifelfrei eine der herausragenden linken
Journalisten der Nachkriegszeit in der BRD. Ihre Kolumnen in
Konkret
, deren Chefredakteurin sie lange war, waren
journalistische Glanzleistungen. Die offiziell benannten Gründe ihres
tragischen Todes 1976 sind für mich immer noch, in Zweifel zu ziehen.
Es wurde behauptet, Ulrike Meinhof habe Selbstmord im Gefängnis Stadelheim begangen, weil sie die Öffentlichkeit auf die RAF aufmerksam machen wollte.
Jedoch: Was dabei nie erwähnt wird ist, dass es zum Zeitpunkt des
Selbstmordes
überhaupt keine Zeitungen gab und wenn, dann nur
Notausgaben. Die Journalisten streikten nämlich in der gesamten BRD
und es wurden keine normalen Zeitungen ausgeliefert.
Eine Vollblutjournalistin, wie es Ulrike Meinhof war, hätte den Fehler nicht begangen, in einer quasi zeitungslosen Zeit so was zu machen. 1976 gab es noch kein Internet und die öffentlich-rechtlichen Medien brachten oft nur stark geschrumpfte Meldungen und oft auch nur Verlautbarungen. Hintergründe und genauere Informationen konnte man nur über Printmedien erhalten.
Natürlich war ihre Mitgliedschaft in der RAF, war die RAF, ein
schwerer Fehler. Individueller Terror führt nicht zur Beseitigung des
Kapitalismus. Das geht nur durch Massenkampf. Die Theorie wird zur
materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.
(Marx-Engels-Gesamtausgabe, Erste Abteilung, Bd. l, Erster Halbbd.,
S. 614.)
Es führt kein Weg an der Massenaufklärung, Massenmobilisierung und Massenkampf vorbei.
Ulrike Meinhof, die eine fortschrittliche Bürgerliche war, meinte, diese umgehen, zumindest aber abkürzen zu können, wenn sie zum Mittel des individuellen Terrors greift.
Was aber den individuellen Terror der RAF vom rechten unterscheidet ist, dass niemals Aktionen gegen normale Menschen gemacht wurden.